Seit wir die Piratenpartei Schweiz gegründet haben, traf ich immer wieder auf Musiker und Vertreter der Musikbranche. Viele spannende Gespräche entstanden. Diese Gespräche sollen nicht einfach spannende Unterhaltungen bleiben, sondern zu einem wertvollen Beitrag für die Debatte werden. Deshalb will ich die Inputs in Form von Interviews mit der Welt zu teilen.
Ich beginne mit Mike Frei, der mich Anfang Jahr aufgrund der weltweiten Proteste gegen ACTA kontaktiert hatte. Er schrieb damals:
Ich bin ehrlich gesagt froh, dass wir (momentan noch) ein freies Internet haben, da es uns Musikern erlaubt, gegenüber der ehemals starken Musik-”Industrie” (irgendwie ein komisches Wort, fühle mich dann als Musiker wie eine Legebatterie) einen starken Standpunkt einzunehmen.
Aus der E-Mail entwickelte sich ein reger Austausch, der kürzlich in einem Mittagessen resultierte. Das Gespräch war so spannend, dass ich ihn als ersten Interviewpartner ausgesucht habe.
Ich: Mike, du bist Sänger und Gitarrist der Band BluePearl. Wie erlebst du die aktuelle Urheberrechtsdebatte?
Mike: Als Musiker und Komponist meiner Band verfolge ich die Urheberrechtsdebatte schon lange. Es gibt zwei extreme Lager, die sich bekämpfen. Das sind zum einen die Vertreter der freien und überall kostenlos verfügbaren Musik und auf der anderen Seite die Rechteverwerter; also diejenigen, die am meisten Geld von der Musik bekommen.
In der Debatte geht allerdings oft unter, dass es auch noch ein drittes und ein viertes Lager gibt, nämlich dasjenige der Musiker und Komponisten und dasjenige der einfachen Musikkonsumenten. Diese werden meiner Meinung nach viel zu wenig beachtet, obwohl sie es sind, um die sich der ganze Kreis dreht. Weder die Rechteverwerter noch die Alles-ist-gratis-Vertreter haben also eigentlich eine Berechtigung, in dieser Diskussion grosse Töne zu spucken.
Wie stehst du zur Debatte?
Es gibt zwei Sachen zu beachten:
- Die Musiker sind durchaus bereit, einen Teil ihrer Musik auch gratis zur Verfügung zu stellen, wenn sie nicht auch noch dafür zahlen müssen – wie etwa Bereitstellungslizenzen zu Gunsten der GEMA für die Band-eigene Webseite.
- Die Konsumenten sind nach wie vor bereit, einen grossen Teil ihres für die Freizeit zur Verfügung stehenden Geldes für Musik auszugeben, sei es für CDs, Merchandising oder Konzerte.
Schlussendlich kann also nur eine Lösung gefunden werden, wenn die Musiker und die Konsumenten miteinbezogen werden. Doch genau das scheint in den extremen Lagern nicht gewünscht zu sein. Das finde ich schade.
Ist die Schweiz ein Internierungslager für Musiker, wie es der Verein Musikschaffende Schweiz mit dem Guantanamo-Vergleich suggeriert?
Ich wüsste gerne, was der Verein mit diesem Vergleich genau aussagen wollte. Ich bin durchaus der Meinung, dass man auch von öffentlicher Seite her die Musikkultur noch mehr unterstützen könnte. Aber Musiker sind doch keine Gefangene ohne Rechte… Sie haben ja zum Beispiel auch das Recht zu arbeiten, das Recht auf Freiheit in ihrer künstlerischen Tätigkeit und das Recht, Entgelt für Ihre Arbeit zu verlangen. Dass jemand dafür zahlt, unterliegt jedoch der freien Marktwirtschaft. Allerdings muss klargestellt werden, dass dies nicht bedeutet, dass die Musik einfach gratis bezogen werden darf, wenn man keine Lust hat, dafür zu bezahlen.
Trotzdem: Viele Musikschaffende sind unzufrieden. Wo drückt der Schuh?
Das liegt sicherlich daran, dass viele reden, niemand einen Schritt Richtung Kompromiss wagt und die Musiker nicht nach ihrer Meinung gefragt werden. Ich bin überzeugt, eine öffentliche Diskussion, in welche gerade auch die Musiker selber mit einbezogen werden, wäre in diesem Fall eine gute Lösung. Gute Vorschläge, die aus dieser Diskussion entstehen, sollten dann aber durch eine handlungsfähige Kommission umgesetzt werden, so dass nicht nur wieder um den heissen Brei herum geredet wird und keine konkreten Handlungen daraus entstehen.
Du hast dich für deine Bachelorarbeit intensiv mit den Entwicklungen des letzten Jahrzehnts befasst. Was hat sich geändert?
Interessant sind vor allem zwei Entwicklungen, die der derzeitigen, vor allem durch die Plattenindustrie verbreiteten, in der Öffentlichkeit vorherrschenden Meinung völlig widersprechen:
Einerseits ist zu sagen, dass die Entwicklung im Musikmarkt über die gesamte Branche hinweg gesehen (also nicht nur Plattenfirmen, sondern auch Konzertveranstalter, Musikplayer usw.) eine Umsatzsteigerung von ca. 5% erzielen konnte. Der rückläufige CD-Verkauf wird also in der Gesamtheit mehr als kompensiert.
Andererseits ist erstaunlich, dass es mehrere Studien gibt, die aufzeigen, dass die Künstler heute im Durchschnitt mehr Einkommen erzielen können als noch vor 10 Jahren. Dies wird damit begründet, dass heute Live-Konzerte mehr denn je gefragt sind, die Gagen gestiegen sind und der Künstler sein Geld sowieso am ehesten mit Live-Konzerten verdient, was ich auch richtig finde. Relativiert wird die Sache nur dadurch, dass es heute gerade für einen Newcomer extrem schwierig ist, vom Veranstalter etwas für seine Darbietung zu bekommen, während die Musikgrössen im Geschäft immer mehr verlangen können. Es ist traurig, dass Veranstalter gerade bei der Musik immer sparen wollen!
Kann es sein, dass die Musikbranche mit den Veränderungen durch das Internet überfordert ist?
Lediglich die traditionelle Plattenindustrie ist nach wie vor überfordert. Wie gesagt wird diese Meinung, die gesamte Branche stehe unter einem schlechten Stern, vor allem durch die Plattenlabels und deren Verbände verbreitet. Die Branche, vor allem die Veranstaltungs- und die Musik-Elektronik-Branche, erfreuen sich jedoch bester Gesundheit.
Die Frage sollte hier eher sein, ob nicht die Musiker ob der vielen verschiedenen Musikplattformen und Angebote ein wenig überfordert sind… Das denke ich nämlich.
Hat es die Musikbranche also verpasst, die Vorzüge des Internets frühzeitig zu erkennen und den Musikern beim Wandel zur Seite zu stehen?
Ich glaube, die Musikbranche insgesamt hat sich sehr gut mit dem Internet abgefunden und es auch zu ihrem Vorteil genutzt. Selbst die Plattenindustrie scheint nun erkannt zu haben, dass das Internet auch Vorzüge bietet. Sie profitiert vor allem deshalb, weil sich der Konsument aufgrund des immensen Angebots an guter Musik wieder vermehrt auf Empfehlungen stützt. Bei diesen Empfehlungen vertraut er am meisten den Plattenlabels, da sich diese vermeintlicherweise am besten in der Szene auskennen. So können die Plattenlabels wieder sagen, welche Musik gut, also kaufbar ist.
Was jedoch verpasst wurde, ist, die Musiker ebenfalls darauf einzustimmen. Allerdings ist das nicht nur die Aufgabe der Musikbranche. Mindestens eine Teilverantwortung kommt auch den Musikern selber zu. Ich finde die Passivität der Musiker hinsichtlich des Internets zum Teil richtig erschreckend. Verwaiste Webseiten und nicht ordentlich geführte Facebook-Profile sind keine Seltenheit…
Was sollte man als erstes ändern?
Den Musikern gegenüber den Labels und den Verwertungsgesellschaften rechtlich mehr Macht geben. Das Urheberrecht und gerade die Verwertungsgesellschaften wurden ja ursprünglich mit dem Hintergrundgedanken gegründet, den Musikern ein gerechtes Einkommen zu ermöglichen. An der Musik verdienen aber auch heute die Musiker nach wie vor am wenigsten.
Hast du einen Tipp für deine Kollegen?
Freundet euch mit dem Internet an! Es gibt erst seit dem Aufkommen des Internets fast unbegrenzt Möglichkeiten, sich für seine Musik auch ein Gehör zu verschaffen. Ich finde, man sollte das als grosses Geschenk sehen.
Geht immer mit dem Blick voran, dass Eure Fans sicherlich keine Verbrecher sind! Sie lieben Eure Musik, ob sie zahlen oder nicht. Seid froh darüber! Ich würde nie einen Fan von uns verklagen wollen.